Baumsterben ist nicht gleich Waldsterben! Auf unserer Brocken-Exkursion im Nationalpark Harz lernten wir viel über das dramatische Fichtensterben im Harz, aber auch über den Waldwandel im Nationalpark und über die wechselvolle (Teilungs-)Geschichte des höchsten Berges in Nord- und Mitteldeutschland.
Anlässlich des 30jährigen Jubiläums des Nationalparkprogramms luden die Landesstiftungen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen Anfang September zu einer Exkursion in den Nationalpark Harz ein. Der noch junge Nationalpark wurde im Zuge eines Coups im Rahmen der Gesetzgebungen zur Deutschen Einheit von Naturschützern um Prof. Dr. Michael Succow im Jahr 1990 auf den Weg gebracht und verbindet heute Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Die Exkursion, die wir gemeinsam mit der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen und dem Nationalpark Harz veranstalteten, führte uns über eine abwechslungsreiche Landschaft von Wernigerode in Sachsen-Anhalt über den Brocken bis nach Torfhaus in Niedersachsen.
Die Teilungsgeschichte des Brocken im Harz
Der höchste Berg Nord- und Mitteldeutschlands – der Brocken - blickt nicht nur auf eine sagenhafte Vergangenheit zurück, sondern auch auf eine wechselvolle Teilungserfahrung und auf eine ökologische Erfolgsgeschichte im Zuge der deutschen Einheit. Mit 20 Teilnehmenden aus den alten und neuen Bundesländern begaben wir uns mit der Brockenbahn auf eine Reise in die jüngste Vergangenheit, als der Brocken militärisches Sperrgebiet war und am höchsten Punkt ein Stasigebäude stand, das als Abhör- und Spionagestation diente. Der Brocken war der höchste Punkt der innerdeutschen Grenze, Teil des eisernen Vorhangs, der Landschaft und Menschen unbarmherzig trennte und weder von Ost noch von West begehbar war. Der Zugang zur Brockenkuppe war komplett gesperrt, bis sich im Dezember 1989 Demonstrant*innen durch den Schnee kämpften und Zugang verschafften. Bis 1994, so der Leiter des Besucherzentrums Brocken Christoph Lampert, waren auf dem Brocken noch russische Soldaten stationiert.
Wanderung von Ost nach West
Wir wanderten mit Uwe Wegener, dem „Vater der Harzer Bergwiesen“, der maßgeblich an der Gründung des Nationalparks Harz im Jahr 1990 beteiligt und mit Heike Albrecht, der Leiterin des Nationalpark-Besucherzentrums TorfHaus über den Brocken und den ‚Kolonnenweg‘ etwa acht Kilometer hinunter nach TorfHaus. Der sogenannte 'Kolonnenweg' war ein Teil der innerdeutschen Grenzanlagen auf der Seite der DDR. Hier fuhren die Grenzer mit ihren Trabbis, um Menschen am Überschreiten der Grenze zu hindern - notfalls auch mit Gewalt. Dieser ehemalige Todesstreifen führt quer über den Brocken und ist heute Lebenslinie für viele Tier- und Pflanzenarten. Als Nationales Naturmonument ist das Grüne Band Sachsen-Anhalt in seiner kulturellen aber auch ökologischen Bedeutung besonders geschützt. Auf unserer gemeinsamen Wanderung konnten wir dennoch unmittelbar sehen, wie sich der Wald im Harz derzeit, unter dem Eindruck von Dürre und Klimakrise, wandelt.
"In nur sechs Jahren hat sich das Waldbild komplett verändert"
Dr. Uwe Wegener
Der Nationalparkmitbegründer und Umweltschützer Dr. Uwe Wegener erläuterte unterwegs, weshalb es auf dem Brocken zur Zeit zum massiven Fichtensterben kommt. Nicht nur die durch die Klimakatastrophe verursachte Dürre der letzten Jahre, der Borkenkäfer und die Flachwurzelsysteme der Fichten sind die Ursachen, hinzu kommen auch die durch Menschen angepflanzten Monokulturen von "Flachlandfichten", die - mit ihren weitreichenden Ästen - den Bedingungen im Mittelgebirge nicht so gut angepasst sind, wie die autochthonen schmalen Bergfichten.
„Aufbruch hin zu einem wilden Naturwald“
Biologin Heike Albrecht
Heike Albrecht, die Leiterin vom TorfHaus, betonte jedoch, dass dieses Baumsterben - so drastisch es im Moment auch auf Bewohner*innen und Wander*innen im Harz wirke - durchaus auch ein positiver Prozess sei. "Ereignisse wie Stürme, Wetterextreme mit sich anschließenden Borkenkäfermassenvermehrungen lassen die meist menschengeprägten, älteren Fichtenforste im Nationalpark Harz großflächig absterben", erläuterte uns die Biologin, "dies bedeutet aber nicht den Verlust des Waldes sondern einen Aufbruch hin zu einem wilden Naturwald - der Wald wandelt sich. Für viele Menschen ist es verstörend und beunruhigend sich in diesem durch den Klimawandel beförderten sehr rasant ablaufenden Prozess von ihrem gewohnten Heimatbild verabschieden zu müssen. Doch vertrauensvoll in die Zukunft geblickt, zeigt sich schon an vielen Stellen die nachwachsende, vielfältigere, altersgemischte neue Waldgeneration - so gilt es nicht in die Kronen der abgestorbenen Bäume zu schauen, sondern auf den Waldboden, wo der neue Wald heranwächst."