Während das Weggehen manchmal ein kurzer Moment ist, dauert das Ankommen oft viel länger. Nicht immer ist der Empfang drüben! herzlich. Neu-Angekommene stoßen auf Ablehnung oder Hass, die bürokratischen Hürden sind hoch, Sprachbarrieren oder Wohnungsfragen erschweren das Zurechtfinden. Und auch im Alltag gleicht das Ankommen im Land der Frühaufsteher oft einem Labyrinth. Andere bleiben im vermeintlichen „Bruderland“ wie die Madgermanes fremd. Solidarität und Freundschaften hingegen können das „Neu sein“ erleichtern.
So unterschiedlich die ausgestellten Graphic Novels auch sind, verbindet sie doch der Ansatz Migrationsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte zu erzählen und nicht zuletzt die Hinterfragung der Kategorien Eigen und Fremdsein im Medium Comic. Durch die untrennbare Beziehung von Bild und Text wird ein Zwischenraum geschaffen, der Machtverhältnisse in Frage stellt.
Die verschiedenen Erzähl- und Darstellungsebenen werden in der Stadt räumlich zueinander in Beziehung gesetzt, ohne jedoch die Besonderheiten der jeweiligen historischen Situation außer Acht zu lassen. Anhand der Schlagworte Zuflucht, vergessene Migration und biographische Umbrüche sollen unterschiedliche Facetten von Migration und auch die Position der Mehrheitsgesellschaft aufgezeigt werden.
In Zusammenarbeit mit dem avant-verlag, dem Verlag Reprodukt und dem Deutschen Comicverein e.V. laden wir zum grafischen Spaziergang durch Halle ein. An 7 Stationen hängen in Schaufenstern Comics in der Stadt verteilt.
Mit der Ausstellung wollen wir die unterschiedlichen Facetten von Migration sichtbar machen, zum Nachdenken und Austausch einladen und natürlich zum solidarischen Handeln anregen.
Auf dem Spaziergang könnt Ihr Euch per Audioguide von Zeitzeug*innen, Autor*innen, neu-zugezogenen Sachsen-Anhalter*innen und Engagierten begleiten lassen.
Station 1
Zuflucht nehmen
Afghanistan, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In einer sternenklaren Nacht, zu Füßen der Buddha-Statuen von Bamiyan, verliebt sich die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach in eine Archäologin. Es ist die Nacht, in der Deutschland Polen überfällt und die Welt für Jahre in Chaos versinkt.
Berlin, 2016: Karsten, der sich für die Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens begeistert, trifft in Berlin auf Nayla, eine syrische Geflüchtete, die sich mehr schlecht als recht durch Alltag und Behördenwirrwarr ihrer neuen Wahlheimat manövriert.
Anhand dieser ungewöhnlichen, in sich verschachtelten Liebesgeschichten erzählt der Comic, wie schwierig es ist, die Grenzen im Kopf und zwischen den Menschen aufzulösen und zu vereinen, was Tradition und Geschichte getrennt haben.
Und sie erzählen von der Herausforderung, zu lieben und sich zu öffnen, ob gestern oder heute, ob in Kabul oder in Berlin.
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Station 2
Kinderland
Ostberlin im Sommer 1989: Mirco Watzke steckt in der Klemme. Der sonst so vorbildliche Schüler der Klasse 7a hat Ärger mit den blöden FDJlern, und der Einzige, der ihm dabei helfen kann, ist ausgerechnet dieser unheimliche Neue aus der Parallelklasse…
In “Kinderland” erzählt Mawil von Freundschaft, Mut und Vertrauen, einer Kindheit zwischen Jungen Pionieren und Kirche, von “verschwundenen” Vätern und heimlich belauschtem Getuschel übers “rübermachen”, von der “Angabe des Todes” und einem Tischtennisturnier am Vorabend der Wende.
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Station 3
Irmina
Die ehrgeizige Irmina reist Mitte der 1930er Jahre nach London, um eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin zu beginnen. Dort lernt sie Howard aus der Karibik kennen, dem sie sich im Streben nach einem selbstbestimmten Leben verbunden fühlt. Durch den klugen und zielstrebigen Oxfordstudenten beginnt Irmina ihren Blick auf die Welt zu öffnen. Doch findet ihre Beziehung ein jähes Ende, als Irmina, bedrängt durch die politische Situation, nach Berlin zurückkehrt. Im nationalsozialistischen Deutschland steht sie vor der Möglichkeit, den erstrebten Wohlstand endlich zu erlangen, wenn sie dafür die verbrecherische Ideologie des Regimes nicht infrage stellt. Und die politischen Ereignisse eskalieren weiter und weiter…
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Station 4
Madgermanes
Von 1979 bis 1991 waren ca. 20.000 Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik in der DDR beschäftigt. Ihr auf vier Jahre befristeter Aufenthalt sollte dazu dienen, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen und Berufserfahrung zu sammeln, um nach ihrer Rückkehr zum Aufbau eines unabhängigen sozialistischen Mosambiks beizutragen. Die Realität sah anders aus. Die „Madgermanes“, wie sie in Mosambik genannt werden, eine Wortschöpfung aus „Mad Germans“ und „Made in Germany“, kehrten in ein vom Bürgerkrieg völlig zerstörtes Land zurück.
Birgit Weyhe recherchiert diese kaum bekannte Fußnote deutsch-mosambikanischer Geschichte, indem sie die Betroffenen selbst zu Wort kommen lässt. Sie dreht die übliche Perspektive eines deutschen Blicks auf die Welt um und porträtiert zugleich einen Staat vor dessen Untergang.
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Ausstellungsprojekt »Einheit, Arbeit, Wachsamkeit«, Blech e.V. 19.03.2021 bis 25.04.2021
Station 5
Wohnungsfragen
Mit dem Asylbescheid wird für viele Flüchtlinge das Leben leichter. Für Ahmad jedoch markiert er den Beginn einer Odyssee durch sächsische Behörden. In dem Comic erzählen Marcel Raabe (Text) und Johannes Stahl (Zeichnung) eine Geschichte von Wohnungssuche, Bürokratie und Ankommen.
Das »Alphabet des Ankommens« kombiniert Journalismus mit Comics, um das Thema Aus- und Einwanderung einmal anders anzugehen. E wie Ehrenamt, M wie Musik oder W wie Wohnsitz: Journalist_innen und Zeichner_innen aus zehn verschiedenen Ländern berichten davon, wie Migration weltweit Menschen und Nationen prägt.
Ein Projekt des Deutschen Comicvereins e.V., gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
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Station 6
drüben!
In seinem Debüt "drüben!" erzählt der junge Zeichner und Autor Simon Schwartz von der schwierigen Entscheidung seiner Eltern, Anfang der 1980er Jahre die DDR für immer zu verlassen. Er verknüpft in seiner Erzählung ein wichtiges Kapitel der jüngeren deutschen Vergangenheit mit seiner eigenen persönlichen Geschichte. Damit opponieren beide nicht nur gegen die allgegenwärtige Diktatur des Arbeiter- und Bauernstaates, sondern zwangsläufig auch gegen Teile ihrer eigenen Familien und ihrer Herkunft. Ab diesem Zeitpunkt sollte ihr einziger Sohn zwischen zwei deutschen Staaten aufwachsen.
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Station 7
Im Land der Frühaufsteher
Nino Paula Bulling hat im Laufe mehrerer Jahre die Flüchtlingspolitik in Sachsen-Anhalt in etlichen Gesprächen und Begegnungen mit Asylbewerbern in Halle, Halberstadt und Möhlau (Wittenberg) dokumentiert. In sieben Kapiteln erzählt sie vom Leben in Asylbewerberheimen, alltäglichem Rassismus, dem Tod eines Flüchtlings wie auch von der Suche nach einer angemessenen erzählerischen Haltung als weiße Künstlerin.
Weiterführende Links:
Flüchtlingspolitik in Sachsen-Anhalt
„Sich an die eigene Nase zu fassen ist schwierig“ – Interview mit Nino Paula Bulling