Gutes Essen für Alle - Was steckt hinter lokalen Ernährungsräten?

"Gutes Essen für Alle" ist die geteilte Motivation der derzeit etwa 30 lokalen Ernährungsräte, die sich vor allem in Großstädten gegründet haben. Jessica Stubenrauch engagiert sich im Vorstand des Ernährungsrats Leipzig und beantwortet unsere Fragen zum Bedeutung, der Arbeitsweise und der Neugründung von Ernährungsräten.

Große und kleine Tomaten in rot, orange und gelb

„Gutes Essen für alle“ ist die geteilte Motivation der derzeit etwa 30 lokalen Ernährungsräte, die sich vor allem in Großstädten gegründet haben. Wer steckt hinter diesen Initiativen und warum gibt es lokale Ernährungsräte?

Jessica Stubenrauch: Hinter diesen Initiativen stecken engagierte Menschen aus unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die das Ernährungssystem vor Ort regionaler, ökologischer und sozial gerechter gestalten möchten und sich aktiv an diesem Prozess beteiligen.

Unsere tägliche Versorgung – vor allem (aber nicht nur) in den Städten – ist aktuell stark von globalisiertem Handel und langen Lieferketten geprägt. Dies führt u.a. dazu, dass Erzeuger*innen und Verbraucher*innen weit voneinander entfernt sind und kaum mehr Bezug zueinander haben. Gleichzeitig findet durch die Art der landwirtschaftlichen Produktion vielerorts ein Raubbau an den natürlichen Ressourcen statt und Menschrechte bzw. Sozialstandards werden   missachtet. 

Ernährungsräte setzen sich daher dafür ein, genau dies zu verändern. Das Thema überhaupt erst einmal wieder auf die politische Agenda von den Städten oder Kommunen zu setzen, ist dabei ein erster wichtiger Punkt, ebenso wie gesamtgesellschaftlich ein Stück „wachzurütteln“ und auf unterschiedlichsten Ebenen eine höhere Sensibilität für das Themenfeld zu erzeugen. Ein Ziel ist es, dabei auch die Resilienz in der Versorgung der lokalen Bevölkerung langfristig zu stärken und abzusichern. Dies ist vor dem Hintergrund bereits spürbarer Auswirkungen des Klimawandels und den durch Krisen erschütterbaren globalen Versorgungsketten besonders wichtig.

Der Slogan „Gutes Essen für Alle“ steht somit dafür, dass gesunde und regional, ökologisch sowie sozial verträglich produzierte Lebensmittel jederzeit und in der größtmöglichen Auswahl für alle Menschen verfügbar sind.

Portrait Jessica Stubenrauch - junge Frau mit Brille und lockigen Haaren
Jessica Stubenrauch engagiert sich im Leipziger Ernährungsrat und hat diesen im Gründungsprozess begleitet.

Derzeit ist viel davon die Rede, was Städte im Zusammenhang mit Klimaschutz leisten können. Wie hängen denn Klimaschutz und lokale Ernährungsräte zusammen?

Jessica Stubenrauch: Einerseits können durch das Stärken lokaler Wirtschaftskreisläufe, d.h. durch kurze Wege zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen, unnötig lange Transportwege vermieden werden, sodass die Versorgung mit Lebensmitteln bereits aus diesem Grund klimafreundlicher wird. Dies lässt sich zum Beispiel durch verstärkte Direktvermarktung, eine Förderung von Regionalmärkten oder auch mittels eins gesteigerten Angebots an regionalen Produkten in Supermärkten realisieren.

Anderseits kann durch die Förderung einer ökologischeren und gleichzeitig vielfältigeren Landbewirtschaftung positiv zum Klimaschutz beigetragen werden. Bereits das Integrieren von Hecken oder Bäumen auf einer Landwirtschaftsfläche fördert den Klimaschutz durch die erhöhte Speicherung von Kohlenstoff. Noch viel größere Gewinne in dieser Hinsicht können durch eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung erzielt werden, welche die natürliche Funktion des Bodens insgesamt stärkt und damit auch die Fähigkeit des Bodens eine Senke für Kohlenstoff zu sein und diesen im Humus zu binden. Der Boden ist die größte terrestrische Kohlenstoffsenke und daher ein wesentlicher Bestandteil bei der Bekämpfung des Klimawandels.

Ernährungsräte setzen sich dafür ein, dass Themen wie die Art der Landbewirtschaftung in der Region, die Kriterien für die Flächenvergabe an Landwirt*innen, die Essensversorgung öffentlicher Einrichtungen etc. wieder politisch mehr Gehör und Gewicht erlangen und die hierfür notwendigen Änderungen angeregt werden. Damit wird gleichzeitig ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz in der Region geleistet.

Wie ist der Ernährungsrat Leipzig aufgebaut, wie wird er finanziert und welchen Mehrwert hat er in seinem ersten Jahr seiner Existenz für die Leipziger*innen und das Umland gehabt?

Jessica Stubenrauch: Der Ernährungsrat Leipzig hat mittlerweile die rechtliche Form eines Vereins, versteht sich aber als offenes Netzwerk an dem alle – auch nicht Vereinsmitglieder – jederzeit teilhaben können. Neue Mitstreiter*innen und Interessierte sind daher bei uns immer herzlich willkommen! Der Leipziger Ernährungsrat besteht aus verschiedenen Arbeitsgruppen zu den Themen Bildung, Forschung, Wertschöpfungsketten, Gemeinschaftsverpflegung, Essbare Stadt, Solidarische Landwirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit. Hier findet die hauptsächliche inhaltliche Arbeit des Ernährungsrats statt und es werden u.a. auch verschiedene Events sowie Veranstaltungen organisiert. Gleichzeitig existiert ein Koordinierungskreis, welcher maßgeblich aus dem Vorstand des Vereins und Vertreter*innen jeder AG zusammengesetzt ist und sich regelmäßig trifft, um in einen wichtigen Austausch zu treten und richtungsweisende Entscheidungen zu treffen. Die Koordinierungsarbeit wird dabei zusätzlich maßgeblich von zwei Bundesfreiwilligendienstleistenden unterstützt. Ggf. wird es in der Zukunft auch eine offizielle Geschäftsstelle geben. Das ehrenamtliche Engagement steht jedoch insgesamt aus der Perspektive des Ernährungsrats im Vordergrund.

Der Ernährungsrat finanziert sich dabei maßgeblich über Spenden sowie Mitgliedsbeiträgen, neben bestimmten beantragten Projektförderungen, welche beispielsweise von der Stadt Leipzig oder dem Land Sachsen ausgeschrieben werden.

Der Mehrwert des Leipziger Ernährungsrats für die Region und darüber hinaus lässt sich im Detail natürlich schwierig genau bestimmen. Sicher ist jedoch, dass wir die Themenbereiche Landwirtschaft und Ernährung verstärkt in die Leipziger Stadtpolitik eingebracht haben und weiterhin einbringen werden, auch im Rahmen des aktuellen Energie- und Klimaschutzprogramms. Daneben sind wir im Rahmen des neuen Landwirtschaftskonzepts des Liegenschaftsamts beratend zum Thema der Vergabe städtischer Pachtflächen eingebunden oder unterstützen neu gegründete solidarische Landwirtschaftsprojekte wie die KoLa Leipzig. Nicht zu vergessen ist natürlich das Schaffen von Aufmerksamkeit für entsprechende Themenbereiche in der Bevölkerung und die Vernetzung von lokalen Produzent*innen und Verbraucher*innen.

Sie selbst sind aktiv im Vorstand des Leipziger Ernährungsrates, der sich im Mai 2019 gegründet hat – wie haben Sie den Prozess der Gründung, der ja bereits einige Zeit vor der eigentlichen Gründung begann, erlebt und was raten Sie denjenigen, die sich vorstellen können, einen Ernährungsrat in ihrer eigenen Stadt zu gründen?

Jessica Stubenrauch: Den Gründungsprozess empfand ich als sehr spannend und dynamisch. Am Anfang haben sich, maßgeblich unterstützt und initiiert durch das Konzeptwerk Neue Ökonomie, Akteure unterschiedlichster zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie auch Vertreter*innen der Kommune mit Interesse an dem Thema „Gutes Essen für Alle“ zusammengefunden. Es gab verschiedene öffentliche Infoveranstaltungen, die gezeigt haben, wie groß das Interesse an den Themen des Ernährungsrats ist und die natürlich dazu motiviert haben, hierauf aufzubauen und eine solche gemeinsame Bewegung auch in Leipzig zu gründen. Es wurde zunächst viel rund um das Thema Ernährung, Ernährungssouveränität, die aktuelle Versorgungslage in der Stadt und bestehende Problempunkte und Verbesserungspotenziale diskutiert und nach und nach hat sich dann die heutige Struktur des Ernährungsrates entwickelt.

Akteur*innen die sich vorstellen können, einen eigenen Ernährungsrat zu gründen, kann ich raten, auf jeden Fall frohen Mutes zu sein und zu versuchen zunächst alle bereits in diesem Themenfeld aktiven Akteure zusammenzutrommeln und sich dann gemeinsam weiterzuentwickeln. Ein Austausch mit bereits bestehenden Ernährungsräten ist natürlich zusätzlich immer sinnvoll, auch wenn es letztlich viele Konzepte gibt wie man einen Ernährungsrat organisieren und gründen kann. Jede Initiative muss daher ihren eigenen Weg finden. Enthusiasmus für die Sache ist dabei sicherlich das Wichtigste.

Wo können sich Menschen informieren, die einen Ernährungsrat gründen wollen?

Jessica Stubenrauch: Zunächst bietet die Seite des Leipziger Ernährungsrats (https://ernaehrungsrat-leipzig.org/) eine Vielfalt an weiterführenden Informationen. Neben aktuellen Veranstaltungshinweisen finden sich hier auch Informationen zu unserer Gründung und zum Aufbau des Leipziger Ernährungsrates. Daneben wird aber auch über Ernährungsräte und das dahinterstehende Konzept im Allgemeinen informiert.

Darüber hinaus besteht ein Netzwerk der Ernährungsräte, in welchem sich Ernährungsräte und Gründungsinitiativen aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden zusammengeschlossen haben und in den Austausch treten (https://ernaehrungsraete.org/ ). Das Buch „Genial Lokal. So kommt die Ernährungswende in Bewegung“ von Valentin Thurn, Gundula Oertel and Christine Pohl ist auch empfehlenswert.


Ihr wollt Euch weiter informieren?

Ihr denkt darüber nach, selbst eine Initiative zur Gründung von Ernährungsräten in einer Stadt in Sachsen-Anhalt zu starten? Dann informiert Euch hier, wie es gehen könnte: https://institut-fuer-welternaehrung.org/erklaerfilm-ernaeh…

Und hier findet ihr mehr über innovative Ideen zur Transformation des Ernährungssystems in Europa: https://www.umweltbundesamt.de/publikat…/neuropa-steckbriefe